1. Von Manifesten

    21.02.2013 ///

    Letztes Jahr feierte das Oberhausener Manifest sein 50-jähriges Jubiläum. Damals kämpften junge Filmemacher gegen den platten Heimatfilm und stritten für eine künstlerisch ambitionierte Filmkultur.

     

    Edgar Reitz war einer davon und erinnert sich in diesem Interview an den Umbruch anno 1962:

    “Diese Freiheiten würden auch dem heutigen Film sehr gut tun”

    "[...] ich habe mich nicht durch das Manifest und durch diese Arbeit in meinen künstlerischen Ansichten geändert.
    Aber was sich geändert hat, waren die Formen der Kooperation, des Zusammenseins. Man hatte auf einmal einen ganzen neuen Horizont von Freunden von Mitarbeitern, von Teammitgliedern, es formierte sich - man tauschte sich auch aus, also die Mitarbeiter der einen Produktion landeten wieder bei der anderen und so weiter. So entstand ein regelrechter Horizont von Freunden und Berufskontakten."

    "Es gab ja in diesen Tagen Anlass, das Manifest viele Male zu lesen, das Oberhausener. Und da ist von Freiheiten die Rede, da heißt es, wir fordern Freiheiten für den Film - unter anderem heißt es Unabhängigkeit von den Klischees und Vorstellungen der Branche, Unabhängigkeit von den Beeinflussungen durch Wirtschaftspartner und Geldgeber und Interessengruppen und so weiter. Wenn ich das betrachte, diese Freiheiten würden auch dem heutigen Film sehr gut tun."

    "Dann sehen wir, dass einer wie Cameron, der seinen 'Avatar' gemacht hat, ein Autorenfilmer ist, im tiefsten Sinnen, wie wir es gemeint haben."

     
    Anlässlich des Jubiläums wurde auch Andreas Dresen von Dietrich Brüggemann befragt. Heraus kam ein interessantes Interview:

    “Wenn es am Ende schneit, habe ich Glück gehabt”

    Dresen: "Immerhin hat es da mal eine junge Generation von Filmemachern geschafft, aufzustehen und zu sagen: Hier sind wir. Ich würde mir manchmal wieder so eine Art von Selbstbewußtsein in der Branche wünschen. Auch wenn man das falsch finden mag, aber manchmal gehört auch diese Abgrenzung dazu. Es war ja auch damals nicht konform. Die wurden runtergemacht, die ganze Filmjournaille war gegen sie, jahrelang hat man sich lustig gemacht über die Unterzeichner des Oberhausener Manifests. Aber zu sagen: Hier sind wir und wir wollen etwas. Nicht: Hier sind wir und wollen gern möglichst schnell reich und berühmt werden – das ist etwas, das ich sehr respektiere."

    Brüggemann: "Man hat manchmal die Sehnsucht, eine Band zu sein, die nur von den Leuten lebt, die sie auch tatsächlich hören wollen, die auf die Konzerte kommen und von denen ich sicher weiß: Die sind wegen mir da und nicht weil ich öffentlich gefördert bin. Wenn man sich das eigene Filmschaffen und das der anderen anschaut, dann weiß man nicht so genau: Man hängt an öffentlichen Töpfen, stellt man da ein Kulturgut her, das gemäß den Regularien des Förderinstituts zur Aufführung gebracht wird und dann war’s das? Es gibt eine Sehnsucht nach dieser Lebendigkeit, man wäre gern eine Band, die sich den Arsch abspielen muß, aber wenigstens weiß: Die Leute wollen uns tatsächlich hören."

    Brüggemann über 'Black Swan': "Würde man sich so etwas nicht in Deutschland wünschen? Filme, die selbstbewußt daherkommen und etwas ganz eigenes in die Welt setzen…"
    [...]
    Dresen: "Durchaus. Da muß mal eine neue Generation her, die das anders aufrollt."

     
    Der Kampf um Freiheit setzt sich also fort, dem deutschen Arthouse-Film geht es aber so schlecht nicht, er ist im Filmbetrieb mittlerweile zu einer festen Instanz geworden. Und dem Arthouse-Regisseur bzw. der Arthouse-Regisseurin wird heute – geradezu selbstverständlich – der künstlerische Freiraum gegeben. Das ist das Verdienst des Oberhausener Manifests und allem, was danach kam.

    Doch beim Genrefilm, der ohnehin hierzulande seit dem Ende der Weimarer Republik traditionell kaum Beachtung und Förderung findet, sieht es da schon weitaus schwieriger aus. Die wenigen Versuche größere Produktionen aufzuziehen werden von immenser Angst und Scheu begleitet. Platz für Risiko, Platz für künstlerische Entfaltung, ist oft nicht gegeben. Während im Ausland bereits neue Stufen erklommen werden, z.B. indem Arthouse und Genre widerstandslos miteinander vermischt, Genres mühelos und selbstverständlich verbogen, verwandelt und transformiert werden – jagt man in Deutschland oftmals lediglich ausgetrampelten Pfaden, Klischees und Standards hinterher. Den großen Wurf wagt man nicht. Wer Visionen hat, wird zum Arzt geschickt.

    Viele Entscheider oder Mitentscheider glauben sie verstünden was vom modernen Genrefilm, ob nun Produzenten, Redakteure, Drehbuchlektoren oder Gremienmitglieder der Filmförderung (Durchschnittsalter gefährlich nah bei dem des durchschnittlichen ARD-/ZDF-Zuschauers). Fundiertes Wissen bezüglich der Tradition und Historie des Genrefilms besteht aber meist nicht. Ein Gespür für den aktuellen Zeitgeist, für die neuesten Entwicklungen auf internationaler Bühne, meist auch nicht.

    Was man vom Oberhausener Manifest lernen kann, und dem treffenden Brückenschlag zu James Cameron: auch der Genrefilm braucht Freiheit. Freiheit vor Bevormundung. Genrefilm ist nicht automatisch nur Kommerzware für die große Masse, ist nicht automatisch Schema F nach Plan B. Genrefilm kann auch experimentell, abseitig, mutig, kontrovers, bahnbrechend und schockierend sein. Deutschland braucht beides – das explodierende Spektakel und den Ritt durch fremde Welten. Beides erringt man durch Freiräume. Und durch ein Publikum, welches das alles einfordert.

     
    In diesem Sinne, hier der abschließende Teil des “Manifests”, mit dem der Neue Deutsche Genrefilm im Sommer des vergangenen Jahres begonnen hat. Von mir verfasst nach der Rückfahrt vom ersten Cinestrange Filmfestival in Dresden – wo ich erneut Andreas Marschall traf, denn sowohl “Masks” als auch “Die Farbe” wurde dort aufgeführt. Zwei Filme, die mit minimalstem Budget errungen wurden, die uns beide so einiges abforderten – aber glücklicherweise auf regen Zuspruch im Ausland, auf Festivals aber gerade auch beim inländischen Genrefilm-Publikum stießen. Teilweise begegnete uns schiere Ungläubigkeit, dass es solche Filme überhaupt gibt.

    Wir sagten uns daraufhin: Wir sollten – nein – wir müssen mal eine Lanze für den deutschen Genrefilm brechen. Gleichgesinnte sammeln und uns besser vernetzen. Gegenseitig dazu ermutigen, weiter Genrefilme zu machen.

    Gesagt. Getan.

     
    "Der Neue Deutsche Genrefilm soll das Rad nicht neu erfinden, es reicht wenn wir den Reifen aufpumpen, fehlende Speichen ersetzen, die festgefahrenen Bremsen lockern, unbenutzte Gänge freischalten, Stützräder abstoßen, den Helm abnehmen, das Haar im Wind flattern lassen, die Hände vom Lenker nehmen, und auch einfach mal spontan absteigen, wenn wir genug haben. Und dann in die Dampflok steigen. Oder in ein Raumschiff.

    Der Neue Deutsche Genrefilm soll an die große deutsche Genrefilmkunst der frühen Anfangszeit anknüpfen, vor der Vertreibung talentierter Größen durch den Nationalsozialismus, vor der Etablierung des heutigen einseitigen, von oben auf das Volk herabblickenden Filmmanufakturwesens. Er soll Träume ermöglichen, die man sich lange nicht zu träumen wagte. Magisch sein. Das starre, enge Blickfeld der Filmförderung und des Kulturbetriebs erweitern. Den singulären Ketten des Anspruchs-und Bildungsauftrags ein buntes Multiversum und Panoptikum der unfassbarsten Möglichkeiten entgegensetzen. Die Hochkultur mit ihrer real existierenden grotesk hübsch-hässlichen Zwillingsschwester bekannt machen. Mehr Luft zum Atmen erzeugen. Mehr Raum für das Spreizen unfertiger noch ungeborener größerer Schwingen aufstoßen. Welten erschaffen, die es noch nicht gibt, Welten, die es bisher nicht geben konnte. Keine Angst vor der Wahrheit haben: Dass es ein Publikum gibt, das solche Filme sehen will. Dass eine Gesellschaft unvollständig ist, ohne solche Filme. Dass man sich selbst belügt, wenn man glaubt, dass das schon alles sei, was möglich sein soll.

    Wir wissen nicht, ob unsere zukünftigen Filme unseren Ansprüchen und Ambitionen gerecht werden. Wir wissen nicht, ob es uns gelingt, Hürden einzureißen, Schleusen zu öffnen und den Code zu knacken.
    Doch wenn es dazu führt, dass Genrefilmfans im In- wie im Ausland ein wenig Hoffnung schöpfen, die Not des deutschen Genrefilms verstanden und darüber gesprochen wird - dann ist auch bereits schon sehr viel gewonnen."