1. Mono – Stereo – Surround

    23.02.2013 ///

    In den USA hat (wieder einmal?) die Zukunft begonnen. Ein neuer “game changer” ist auf die Bühne getreten.

    Netflix, ein sehr erfolgreicher Video-on-demand Anbieter (ca. 33 Mio. Kunden), steigt im großen Stil in die Film- und Fernsehproduktion ein: “House of Cards” ist eine A-Level-Serie mit einem A-Level-Director namens David Fincher und einem A-Level-Darsteller namens Kevin Spacey. Rund 100 Mio. US-Dollar soll das Internet-Unternehmen in die ersten beiden Staffeln der Serie investiert haben, die erste Staffel wurde komplett auf einen Schlag online verfügbar gemacht und erhielt hüben wie drüben erstklassige Kritiken.

    "In der Branche ist von einem entscheidenden Manöver im 'Krieg um die Wohnzimmer' die Rede."
    Quelle: FAZ

    In den USA gesellt sich somit ein dritter Spieler zu den beiden Entertainment-Riesen Kino und Fernsehen – das Internet. Und jeder dieser drei Spieler ist noch einmal unterteilt in mehrere sich untereinander bekämpfende Teilinstanzen: Filmstudios, TV-Sender, VOD-Anbieter. Der Kampf um das Publikum geht in eine neue Runde.

    Was macht Good Old Germany? Seit dem 1. Januar diesen Jahres gilt: GEZ-Gebühren für alle! Jeder zahlt, egal ob er den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (in Folge: ÖRR) nutzt oder nicht. Firmen, Stadtgemeinden und Kirchen sind von der Neuregelung besonders stark betroffen – die Unklarheit bezüglich der teils absurd anmutenden Neuregelung hat dazu geführt, dass die Stadt Köln die Zahlung erst einmal ausgesetzt hat.

    Der Unmut unter den Bürgern bezüglich der Zwangsabgabe ist groß. Wofür wird das Geld verwendet? Wie kann man mitbestimmen, worin es investiert wird, was produziert wird? In den letzten Wochen und Monaten griffen die Medien das Thema endlich auf und es wird nun immerhin darüber debattiert und diskutiert. Während ARD und ZDF viel Geld für eine Imagekampagne ausgeben, hagelt es aus allen Richtungen Kritik am System:

    Wenn das deutsche Fernsehen beständig und in großem Maße Qualität erzeugen würde, könnte man sich mit der Situation ja eventuell sogar anfreunden – doch stattdessen hinkt man der modernen TV-Erzählkunst aus den USA oder Dänemark Lichtjahre hinterher. Es fehlt an Mut, es fehlt an Vision. Aber kann man etwas anderes von einem Apparat erwarten, der eher an eine verbeamtete Verwaltungsbehörde erinnert als an ein dynamisches Medienunternehmen des 21. Jahrhunderts?

    Oft heißt es, dass die privaten Sender mit ihrem minderwertigen Unterhaltungskruscht dann das Fernsehen dominieren würden, dass der ÖRR eine Bastion für Kunst, Kultur, Vielfalt und freie Meinungsbildung sei. Auch das Bundesverfassungsgericht hat dies (leider) in einem Beschluss so gesehen. Die Existenz des ÖRR als notwendiges Korrektiv zum freien Medienmarkt ist somit gesichert. Jedoch ungeachtet der Tatsache, dass das internationale und freie Internet diese Funktion mittlerweile längst übernommen hat.

    Und das Gericht begeht in meinen Augen auch den “Fehler” vom Ist-Zustand auszugehen. Ein Gericht kann natürlich schlecht auf einer anderen Basis urteilen, aber es stellte definitiv lediglich fest, dass die privaten Sender aktuell nicht das leisten würden, was der ÖRR leistet. Es wird also nicht berücksichtigt, dass die Privaten ja erst nach einer jahrzehntelangen Entwicklung als “Kompromiss” hinzugekommen sind, als sich das deutsche Fernsehen zumindest mit einem Bein modernisierte und liberalisierte. Ergo konnten die privaten Sender in Deutschland – anders als z.B. in den USA anfangs vor allem nur mit Gameshows, breiter Unterhaltungsware und Wiederholungen von Klassikern (und US-Ware) punkten, nicht mit riskanten hochwertigen Eigenproduktionen. Die meisten kennen ja noch die 90er Jahre. Zwanzig Jahre später geht es den privaten TV-Sendern zwar deutlich besser, sie produzieren auch selbst auf durchaus höherem Niveau (wobei Pro7 nun anscheinend die Eigenproduktion wieder stoppen wird, “Robin Hood” wird offenbar der letzte seiner Art sein…). Doch ARD und ZDF zu übertreffen, bedeutet, es mit einem echten Schwergewicht aufnehmen zu müssen, der über weitaus größere Ressourcen und Kapazitäten verfügt, gerade im “seriösen” Bereich. Warum also erst versuchen den ÖRR dort zu schlagen, wenn man mit weniger Geld viel mehr auf andere Art und Weise erreichen kann?

    Das deutsche Rundfunksystem ist also selbst schuld daran, dass sich jenseits der eigenen gebührenfinanzierten vier Wände kein freies deutsches Qualitätsfernsehen hat entwickeln können, ebenso wie es daran schuld ist, dass hier – bis auf Bernd Eichinger (R.I.P.), Günter Rohrbach (altersbedingt wird er wohl keine allzu große Rolle mehr spielen) und Nico Hofmann (der bleibt uns hoffentlich noch ein Weilchen) – so gut wie keine starken, unabhängigen, eigenmächtigen Filmproduzenten in Deutschland jemals Fuß fassen und über sich hinaus wachsen konnten.

    Natürlich sollte man nicht so blauäugig sein und glauben, dass RTL & Co. nach einer grundlegenden Liberalisierung der deutschen Medienrepublik von heute auf morgen auf hochklassiges Programm umschalten würden. Aber: Es würden neue Räume entstehen, in die man vorstoßen könnte. Der Staat könnte z.B. die GEZ-Einnahmen eine Zeit lang dafür verwenden, um Produktionsfirmen Incentives anzubieten, Neugründungen zu subventionieren, Darlehenskapital zur Verfügung zu stellen. Das was der Staat im übrigen im Bereich Film und Kultur ja schon die ganze Zeit tut. Aber eben hier um den ÖRR im Rahmen eines Masterplans gesundzuschrumpfen und dafür neuen Akteuren Chancen zu ermöglichen auf eigene Beine zu kommen. Damit eben nicht plötzlich der ganze TV-Markt der ProSieben-Sat1-Gruppe gehört, was ja auch das Bundeskartellamt auf den Plan rufen täte.

    Ich bin zudem der Überzeugung, dass junge, unabhängige Programmmacher nicht nur billigen, minderwertigen Schrott produzieren würden, sondern – inspiriert vom Ausland, auch die Chuzpe und die Vision hätten, wirklich gutes Fernsehen zu wagen. “Privater Sender” und “Qualität” bzw. “Anspruch” schließen sich in keinster Weise kategorisch aus.

    Mögliche Schattenseiten sind natürlich politischer Natur. Wir sehen es an Italien und teilweise auch an den USA. Aber Deutschland ist Deutschland, es ist in meinen Augen nicht zu befürchten, dass hier heut auf morgen italienische Zustände herrschen würden. Und die USA sind nicht so abschreckend wie man meinen mag. Letztlich gibt es mittlerweile das Internet, welches wie bereits erwähnt das Korrektiv in einer modern gedachten Medienrepublik darstellen sollte. Politik wird heutzutage im Internet gemacht. Das ist in den USA bereits so, und Deutschland ist auf bestem Wege dahin. Der erzkonservative FOX News Sender wird im amerikanischen Netz z.B. regelmäßig auseinandergenommen und bloßgestellt, ähnlich wie hierzulande die BILD-Zeitung. Und wenn wir schon dabei sind: Fällt niemandem auf, dass die BRD über 60 Jahre lang auch ohne eine öffentlich-rechtliche Presse sehr gut gefahren ist?

    Dass es juristisch und politisch sehr schwierig wäre eine grundlegende Reform des ÖRR zu erreichen, ist natürlich richtig. Aber man sollte erkennen, dass es sich hierbei um einen ernsthaften Geburtsfehler der BRD handelt. Der ÖRR wurde unter direktem Eindruck der Nazi-Propagandaherrschaft konstruiert, aus gewaltiger Angst davor, dass sich das deutsche Volk per Radiosendungen braun reorganisieren würde. Allein schon, dass der Terminus weiterhin am “Rundfunk” hängt, zeugt davon, dass das alles mit der heutigen Realität nicht mehr allzu viel zu tun hat. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wurde – und das war damals zwar evt. durchaus richtig so – von den westlichen Alliierten als unabhängige Entität aufgebaut, doch heute müssen wir feststellen, dass er zu einem riesigen Apparat geworden ist, der sich verselbstständigt hat, sich von sich selbst ernährt und niemandem Rechenschaft schuldig zu sein scheint. Weder ist der ÖRR der Politik Rede und Antwort schuldig, noch der Bevölkerung, dem Zuschauer, dem Steuer- bzw. GEZ-Zahler.

    Zahlreiche Skandale zeigen zudem wie das Geld veruntreut oder die Macht missbraucht wird. Wer weiß schon, ob das nicht nur die Spitze des Eisbergs ist…

    Eine grundlegende Reform, die vermutlich auch eine Verfassungsänderung beinhalten müsste, ist wahrlich kein Zuckerschlecken. Aber es ist etwas, über das man zumindest mal reden sollte. Eine gesunde Demokratie bekommt so etwas hin.

    Ich behaupte: Am Willen des Volkes würde es nicht scheitern.