1. Generation YouTube

    20.03.2014 /// /


    YouTube Filmmaking: mit Videos, die auf YouTube zu sehen sind, ein derart großes und treues Publikum aufbauen, dass man damit ernsthaft seinen Lebensunterhalt bestreiten und eine ernstzunehmende Karriere aufbauen kann.

    In Deutschland stellt ein solcher Werdegang nach wie vor etwas sehr Exotisches dar. Für viele hiesige Programm-Entscheider und -Macher ist YouTube noch Neuland. In den USA ist dagegen schon seit längerem ein Trend zur Professionalisierung zu erkennen, welcher einen Ausblick auf die zukünftige Weiterentwicklung der Entertainment-Branche gewährt.

    Einzelne junge Kreativteams sind so erfolgreich darin Publikum zu erzeugen und zu binden, bzw. ihre jeweilige Nische zu finden und zu besetzen, dass sie nun im nächsten Schritt via Crowdfunding dazu in der Lage sind, noch größere Projekte anzustoßen und umzusetzen. Und sie genießen die Aufmerksamkeit der YouTube-Chefetage und des Mutterkonzerns Google höchstpersönlich, was sich wiederum in direktem Sponsoring und Featuring auszahlt.

    RocketJump

    ca. 7.000.000 Abonnenten
    www.rocketjump.com

    Regisseur Freddie Wong hat sich im Laufe der vergangenen Jahre durch VFX-lastige YouTube-Clips zu einem echten Star der Szene gemausert und startete 2012 zusammen mit seinen Freunden die auf Videospieler ausgerichtete Webserie “Video Game High School”, in der es um Jugendliche geht, die an einer fiktiven High School studieren, welche Videospiele und entsprechende Wettkämpfe als Hauptaugenmerk hat.

    Mittlerweile wurde schon die dritte Staffel via eigenem Crowdfunding finanziert (etwa 1 Mio. USD wurden gesammelt, das Gesamtbudget wird in Richtung jenseits 1,5 Mio. USD gehen, Drehstart diesen Monat), die erste Staffel hatte noch ungefähr 636.000 USD gekostet, davon kamen bereits spektakuläre ca. 273.000 USD via Crowdfunding zusammen. Bei der zweiten Staffel wuchs der Fan-Support auf über 800.000 USD an, das Budget betrug knapp 1,4 Mio. USD. Das einflussreiche Magazin Variety zeichnete “Video Game High School” vergangenes Jahr als “beste Webserie” aus.

    Wayside Creations

    ca. 160.000 Abonnenten
    www.waysidecreations.com

    Diese Filmemachergruppe hat wiederum mit einer Webserie angefangen, die in der dystopischen Welt des Computerspiels “Fallout” angesiedelt ist. Nach zwei Staffeln und einem Film wurden vergangenes Jahr auf Kickstarter über 120.000 USD für eine auf dem finnischen Fantasy-Rollenspiel “Legend of Grimrock” basierende Webserie gesammelt.

    Bat in the Sun

    ca. 526.000 Abonnenten
    YouTube: batinthesun

    Das Team um Aaron Schoenke lässt vor allem Superhelden und bekannte Genre-Charaktere in hypothetischen Duellen gegeneinander antreten, hat aber auch eine Reihe von Batman-Kurzfilmen produziert, welche in den USA für Furore sorgten.

    Corridor Digital

    ca. 2.600.000 Abonnenten
    YouTube: corridordigital

    Dieses Team sammelt aktuell auf Patreon Crowdfunding-Kapital für eine monatliche Reihe von VFX-lastigen Webvideos und hat mit einem spektakulären Superman-Video, das derzeit auf vielen Kanälen im Umlauf ist, die besten Chancen zu den nächsten YouTube-Stars zu werden

     

     
    Das sind einige der aktuellen Beispiele aus den Vereinigten Staaten. Ähnliches oder Vergleichbares gibt es in Deutschland oder auch in Europa so gut wie gar nicht. Es gibt zwar ein paar erfolgreiche YouTube-Macher aus hiesigen Gefilden, doch es handelt sich dabei großteils um Comedy-Sketches und Let’s Play Videos, nicht um erzählerische Formate.

    In den USA bahnt sich etwas Neues an, und es sieht mal wieder nach einem Trend aus, den wir hier leider verschlafen. Eine neue Generation an Filmemachern tobt sich auf dieser neuen Spielwiese “YouTube-Fernsehen” aus, sammelt Erfahrungen, wächst mit ihren Erfolgen und wird entweder kontinuierlich so weitermachen, oder als nächsten Schritt dann von der etablierten Entertainment-Industrie aufgenommen und integriert.

    Kennzeichnend ist bei all diesen Gruppierungen die starke Affinität zu Nerdkultur, insbesondere Gaming. Alle Teams sind auch in Sachen Visual Effects ausreichend erfahren, um auch komplexere und aufsehenerregende Sequenzen kreieren zu können. Und man schiebt sich gegenseitig Publikum zu und hilft sich gegenseitig – so wurde “Video Game High School” zum Beispiel von Mark Kramer von Video Copilot unterstützt, ein weiterer Vertreter dieser neuen Generation, welcher mit VFX-Tutorialvideos begann und heute eine mehrköpfige Firma leitet, die zuletzt die Titeleinblendungen des letzten “Star Trek”-Films übernehmen durfte.

    Trotz der ordentlichen Qualität arbeiten diese Teams sehr kosteneffizient und verstehen es, aus geringen Mitteln das Maximum an Möglichkeiten herauszuziehen. So sieht zum Beispiel der transparente Kostenbreakdown der zweiten Staffel von “Video Game High School” aus:

    Da wächst etwas heran. Die amerikanische Do-it-yourself-Mentalität, gepaart mit einer hohen Affinität zu neuen technologischen Möglichkeiten des Entertainments, einer offenen, experimentellen Denkweise und vor allem auch eine stark ausgeprägte Genre-Filmtradition begünstigen diese Entwicklung. Google möchte mit YouTube nun verstärkt in den wachsenden Markt für Video-on-Demand eintreten und bietet mittlerweile bereits werbefreie Bezahlkanäle an. In Deutschland ist dies noch nicht möglich, eine Einführung könnte aber noch kommen. Die große Frage ist jedoch, für welchen Content die deutschen Zuschauer bereit sein wären Geld auszugeben. Vermutlich werden es, wenn überhaupt angesichts der bereits bestehenden GEZ-Gebührenlast, so gut wie keine Produktionen aus dem eigenen Land sein.

    Filmförderung für eine YouTube-Webserie? Eher unvorstellbar. Wir haben hier ja bereits oft genug über die Schattenseiten des Fördersystems gesprochen, und auch so gut wie jede größere Tageszeitung hat in den vergangenen Monaten den Stand des deutsche Films und Fernsehens beklagt. Nirgends jedoch scheint man zu bemerken, dass es nicht nur um Filme und klassische Fernsehserien gehen kann, wenn sich durch das Internet auch zunehmend die Sehgewohnheiten und Publikumsschichten verlagern. Eine Förderung, die auf Innovation abzielt, statt auf Erhaltung bestehender Strukturen und gewohnter Muster, wäre eine Förderung, die etwas bewegen könnte. Das Potenzial einer gut geschriebenen Genre-Webserie mit Fokus auf Gamern, Nerds und Geeks als Stammpublikum, in welcher herumgeballert wird und Verweise auf zahllose Kultspiele eingebaut sind, lässt sich einem deutschen Filmfördergremium anno 2014 aber vermutlich in etwa so gut vermitteln wie… ja, unverständlicher geht es für Generation ARD und ZDF eigentlich gar nicht. Und auch das sonstige deutsche Publikum ist offenbar noch nicht so weit – Crowdfunding wird hierzulande erst mehr und mehr von den netzaffinen Usern entdeckt, den allermeisten (oft studentischen) Projekten geht es lediglich um kleine Finanzspritzen unterhalb der 10.000 EUR Marke, und auch um diese muss bereits hart gekämpft und stark geworben werden.

    Aber wir wollen nicht nur typisch deutsch meckern und mosern. Vielleicht erwacht das deutsche Publikum ja noch. Das als Berliner Zombie-Webserie konzipierte “Viva Berlin” hat es zwar bisher leider nicht geschafft, finanziert zu werden, aber es gibt derzeit Versuche daraus einen Spielfilm zu machen. Aus Österreich treten gleich zwei Webserien-Projekte mit starkem Genre-Einschlag an: “Wienerland” und “After Hell”. Und eine Hoffnung bleibt zum Beispiel nach wie vor “Land of Giants”: Erst vor wenigen Tagen vollendeten Jan Cronauer, Krystof Zlatnik und Mark Wachholz das Drehbuch für die Pilotfolge, es gibt offenbar Gespräche mit ausländischen Produktionsfirmen. Drücken wir also fest die Daumen!