Christoph Waltz hat für seine Rolle des Dr. King Schultz in Quentin Tarantinos “Django Unchained” vor kurzem den Oscar gewonnen. Im Interview hat er nicht unbedingt Schönes über seine deutsche TV-Vergangenheit zu berichten:
“Hollywood ist das Ziel – immer”
"SPIEGEL ONLINE: Liegt das auch daran, dass die USA die deutsche Trennung von E- und U-Kultur nicht kennen - und Schauspieler sich daher viel leichter austoben können?
Waltz: Ich empfinde das als wahre Wohltat, dass diese Kategorie nicht existiert. Wir setzen uns als Europäer gerne mit viel Missachtung und Herablassung über diesen unglaublichen Vorteil des Geschichtenerzählens hinweg. Wolfgang Liebeneiner hat in den fünfziger Jahren mal gesagt: 'In Amerika wird Film hergestellt wie Kunst und verkauft wie Ware, und in Deutschland ist es genau umgekehrt.'
[...]
SPIEGEL ONLINE: Können Sie sich eigentlich vorstellen, noch mal einen 'Tatort' zu spielen?
Waltz: (Lächelt. Schweigt. Und schweigt.) Nein."
Wie denken die in Deutschland gebliebenen Schauspieler – oftmals aufgrund der deutschen Sprache an hiesige Filmkarrieren gebunden – über das Thema? Eine kurze Google-Suche bringt folgendes zutage:
“Furcht vor dem Feuer” – Daniel Brühl
"'Im Moment ist es frustrierend', sagte der deutsch-spanische Schauspieler, obwohl er zu Beginn seiner Karriere noch stolz gewesen sei, Teil des deutschen Kinos zu sein. Er vermisse vor allem publikumsorientierte Filme aus dem Bereich Science-Fiction. Dabei stamme der erste Film dieses Genres von dem Deutschen Fritz Lang. 'Wir hatten da mal wirklich etwas drauf', sagte Brühl, 'ich verstehe nicht, dass wir bei unserer interessanten Geschichte nicht viele Genrefilme machen.'
“Wotan Wilke Möring über ‘Das letzte Schweigen’ und deutsche Genrefilme”
"Ich glaube, dass man von Produzentenseite deutschen Genrefilmen nicht die richtigen Chancen gibt. Die kauft man lieber aus den USA ein [...] Ich war nun schon in mehreren deutschen Genrefilmen dabei, z. B. in 'Antikörper', der im angelsächsischen Raum oder international viel besser gelaufen ist als in Deutschland. Das ist, glaube ich, so ein bisschen die Angst vor der eigenen Courage."
So manche deutsche Schauspieler durften unter Tarantino aber endlich mal ihre Leidenschaften voll ausleben, als es 2009 zu einem bahnbrechenden Ereignis kam, so sah es zumindest die FAZ:
“Das System”
"[...] im August 2009, geschah ein Wunder auf den deutschen Leinwänden - und wer dabei gewesen ist, wer gesehen hat, was da geschah: der schaut seither ganz anders auf deutsche Filme, deutsche Körper, deutsche Gesichter.
Es war das Wunder des heiligen Quentin, die Offenbarung von Babelsberg - es war, um es ganz prosaisch zu sagen, der durchgeknallte Tarantino-Film „Inglourious Basterds“, der Film, in welchem der österreichische Schauspieler Christoph Waltz, ein Mann mittleren Alters, eine geniale Rolle so genial spielte, dass da selbst Brad Pitt zum Nebendarsteller wurde. Es war der Film, in dem die deutschen Schauspieler Daniel Brühl und August Diehl, ja selbst jener Til Schweiger, der sonst vom intelligenteren Publikum eher geringgeschätzt wird, so lässig spielten, so präsent waren, dass ihnen zuzuschauen mehr Vergnügen machte als sonst eine komplette Jahresproduktion des deutschen Kinos.
Dieser amerikanische Film warf eben auch die Frage auf, warum es keine deutschen Filme gibt, in welchen Diehl und Brühl, Waltz und Schweiger eine ähnlich gute Figur machen dürfen."
"Zu viel Demokratie, sagt Diehl, das sei es, was den deutschen Film kaputtmacht. Zu viele Leute, die mitreden dürfen, ohne dass sie belangt werden könnten für die Folgen ihrer Entscheidungen. Die Figur, die, weil sie an einen Film so stark glaube, dafür alles auf eine Karte setze: Die sei im System nicht vorgesehen.
Tarantinos Stil beim Drehen von „Inglourious Basterds“: [...] das ist Diehls Hoffnung für das deutsche Filmsystem: dass, wenn mehr deutsche Schauspieler in ausländischen Filmen mitspielten: dass dann die Absurditäten, die Verkrustungen und die Risikoscheu des deutschen Systems nicht mehr halten könnten."
Einen deutschen Tarantino wird es so bald vermutlich nicht geben. Aber das, was Tarantino indirekt bereits für den deutschen Genrefilm geleistet hat, ist kaum in Worte zu fassen. Nie und nimmer hätte ein Deutscher so etwas wie “Inglourious Basterds” hierzulande umsetzen dürfen (vom Können mal ganz abgesehen). Mit deutscher Geschichte spielt man nicht! Deutsche Geschichte muss aufgearbeitet werden! Mit deutscher Methodik und Gründlichkeit…
Tarantino hat es dennoch gewagt, und er hat der ganzen Welt gezeigt, dass es sehr wohl geht. Dass man mit Geschichte sehr wohl spielen kann und darf. Für alle hiesigen Filmemacher ein Befreiungsschlag. Die Ketten sind gesprengt. Und niemand wird sie jemals wieder anlegen können.
Auch sein neuester Film “Django Unchained” – der in den USA durchaus ebenso kontrovers diskutiert wird, da er spielerisch und frei mit der Sklaverei umgeht – setzt die Linie seines aktuellen Schaffenshöhepunktes fort. An Stelle des authentisch-realistischen Dramas setzt er wilde Phantasie, überspitzte Rhetorik, feinen und groben Humor, sowie extreme Brutalität. Der hässlichen Fratze des Rassismus wird genau zwischen die Augen gesehen – so lange, bis das dritte Auge erscheint.
“Wahrheit statt Wirklichkeit”
"Und eben diese Herangehensweise, die die utopischen Frei- und Denkräume der Kunstform Kino ernster nimmt als beinahe jeder historisch „korrekte“ deutsche Historienfilm, der sich öffentlichkeitswirksam damit brüstet, „alles genau so zu zeigen, wie es war“ (wie langweilig!) wirft auch ein ganz spezielles Licht auf Tarantinos leinwandfüllende Gewalteskalationen und Körper-Destruktionen: [...] Was unweigerlich so kam, wie es kam, erscheint schicksalshaft-unausweichlich. Und gegen diese Unausweichlichkeit läuft Tarantino Sturm, als komme es ihm nicht so sehr darauf an, auf die Gegenwart Einfluss zu nehmen, damit sich die Zukunft zu einem Besseren wende, sondern darauf, die kanonisierte Perspektive auf die Vergangenheit zu hinterfragen, damit die filmische Auseinandersetzung mit der Gegenwart wieder halbwegs erträglich wird.
Tarantino inszeniert historische Wahrheit statt historischer Wirklichkeit"
Tja, wie würde denn ein deutscher Beitrag zum Thema aussehen?
Vermutlich ziemlich genau so wie das preisgekrönte Arthouse-Drama “Kriegerin”. Ein Film, gehalten in bleichen, realitätstreuen Farben ostdeutscher Tristesse über eine junge Neonazi-Frau, die Schlimmes tut, Gewissensbisse bekommt, zu reflektieren beginnt, sich entscheiden muss. Ein toll geschriebenes, toll inszeniertes, toll gespieltes Drama, zweifellos. Wirklich empfehlenswert. Sagt auch die Deutsche Film- und Medienbewertung, die in einem Schloss in Wiesbaden untergebracht ist. (Filme mit ihrem “Besonders wertvoll”-Prädikat erhalten steuerliche Vorteile.)
Doch irgendwie haftet der “Kriegerin” etwas Oberlehrerhaftes, etwas Pädagogisches, Schwerwiegendes an. Soll ja auch so sein bei einem solch gesellschaftlich relevantem, richtig wichtigem Thema. Ja, aber muss das immer so sein?
“Kriegerin” hatte ca. 137.000 Zuschauer in den deutschen Kinos. Im Ausland ist der Film weitestgehend unbeachtet geblieben. Bleiche, realitätstreue Farben ostdeutscher Tristesse.
Wie viel Publikum hat “Django Unchained” aktuell? Weltweit? Und wie viele werden noch dazukommen in den kommenden Wochen? Jetzt wo den Film auch zwei Oscars schmücken, zwei Filmpreise, die im Gegensatz zum Deutschen Filmpreis, der LOLA, echten Marktwert besitzen, auf echtes Zuschauerinteresse stoßen? Und dann noch die DVD-Auswertung? Video-on-demand?
Die gut gemeinten Intentionen eines Films wie “Kriegerin” pflegt der Angelsachse mit einem “preaching to the choir” zu bedenken: Ein bildungsbürgerlicher Arthouse-Film für ein bildungsbürgerliches Arthouse-Publikum, welches sich vorführen lassen will, was es eigentlich schon längst weiß, wovon es längst überzeugt ist. Welches sich letztlich weder herumführen noch überraschen lassen will. Wie viele halbstarke Großstadtkids aber haben “Kriegerin” gesehen? Wie viele Langzeitarbeitslose aus Halberstadt und Cottbus? Wie viele Videospiel-Zocker? Wie viele Kampfboxer? Wie viele Otto-Normalbürger? – Selbst wenn die Bundeskanzlerin ein Prädikat vergeben würde, würde der Film vermutlich an weiten Zuschauerschichten komplett vorbeigehen.
Große Töne, kurzer Atem.
Tarantino dagegen schafft den Marathon. Überraschung!