Anlässlich der bevorstehenden Vergabe des Deutschen Filmpreis, schießen sich derzeit viele Kommentatoren auf die aktuelle Misere des deutschen Films ein, doch es artet zunehmend in wüstes Geballere aus.
Thilo Röscheisen, seines Zeichens Drehbuchautor, spricht sich in seinem Blog-Artikel zwar für deutsche Genrefilme und das Heranwachsenlassen einer eigenen Genrefilmkultur aus, behauptet aber zugleich, dass es anderen Filmnationen jenseits von Hollywood auch nicht so wirklich gelingen würde, erfolgreich Genre zu produzieren:
"Von Jean-Pierre Jeunet oder Luc Besson, die auch außerhalb Frankreichs ein großes Publikum erreichen konnten, hat man schon lange nichts mehr gehört. [...] Aber Genres wie Thriller, Horror, Mystery oder Science Fiction brauchen nicht notwendigerweise riesige Budgets und sollten prinzipiell auch von kleineren Filmnationen zu stemmen sein. Und es gibt ja auch immer wieder Versuche in diese Richtung. Nur leider fallen die beim Publikum mit schöner Regelmäßigkeit durch."
Röscheisens sonstigen Ausführungen bezüglich struktureller Probleme im deutschen Filmwesen verfolgen zwar durchaus richtige Argumentationspfade, doch an dieser Stelle muss man angesichts der Genrefilm-Erfolge aus unter anderem gerade Frankreich, Großbritannien, Spanien, Japan in jüngerer Vergangenheit entschieden widersprechen: Da scheint jemand die letzten zehn, zwanzig Jahre in Sachen internationaler Genrefilmkultur komplett verschlafen zu haben – und liefert damit, sicher unbeabsichtigt, genau das Bild, das man ganz allgemein von der deutschen Filmbranche hat. Anders ist es nicht zu erklären, dass Röscheisen offensichtlich nicht mitbekommen haben will, dass der von ihm vermisste Luc Besson als Produzent äußerst umtriebig war, und neben seinen “Minimoys”-Animationsfilmen, den modernen, europäischen Actionfilm mit “Taken”, “Transporter”, “From Paris with Love”, “22 Bullets” und “Banlieu 13” aus der Taufe gehoben hat – Sequels inklusive.
Oder was ist mit den bahnbrechenden, Grenzen überschreitenden Horrorfilmen und Thrillern der “New French Extremity”? Dem maßgeblichen Einfluss japanischer und koreanischer Hororfilme in den 2000er Jahren, ob nun “The Ring” oder “A Tale of Two Sisters”? Oder mit dem zunehmend erwachenden spanischen Genrekino (“[REC]”, “Mad Circus”, “Das Waisenhaus”)? Britischen Errungenschaften wie z.B. “28 Days Later”, “The Descent”, “Moon”, “Sunshine”, “Shaun of the Dead”, “Hot Fuzz”, “Attack the Block”? Oder “Iron Sky” und “Let The Right One In” aus Skandinavien und Finnland?
All diese Filme müssen hierzulande nicht zwingend millionenschwere Megahits sein, um als Erfolg verbucht zu werden. Sie sind zuhause (und in anderen Ländern) bereits erfolgreich gewesen und finden darüber hinaus auch noch hier ihre Zuschauer, ob im Kino oder auf DVD, werden von Fachpresse und einschlägigen Fans bejubelt und gefeiert. So sieht doch Erfolg aus?
Gleiches kann vom deutschen Kino im Ausland nicht gerade behauptet werden. Und während französische und britische Komödien auch in deutschen Arthouse-Kinos ihr festes Stammpublikum hegen und pflegen, lässt sich ähnliches für deutsche Komödien im Ausland ebensowenig feststellen. “Willkommen bei den Sch’tis”, “Ziemlich beste Freunde”, “Best Exotic Marigold Hotel” sind keine Ausnahmen einer Hollywood-dominiert-alles-Regel, sondern die Spitzen eines sehr erfolgreichen europäischen Eisbergs, welcher der US-amerikanischen “Titanic” sehr wohl Paroli bieten kann. Ein Eisberg jedoch, an dem Deutschland nur sehr wenig Anteil hat.
Von daher widerspreche ich dem im Artikel aufgestellten Konstrukt “Hollywood gegen den Rest der Welt”: das deutsche Kino hockt in keinster Weise im selben Boot wie das französische oder britische.
Schön wär’s, wenn’s so wäre…