1. Kultureller Ausnahmezustand

    08.06.2013 ///


    Zur Debatte über Sinn und Unsinn der Filmförderung mischt sich aktuell das Freihandelsabkommen zwischen USA und EU und die Frage, ob das französische Konzept der „Exception culturelle“ aufrecht erhalten bleiben soll.

    Auf der einen Seite wird die als dysfunktional und erfolglos betrachtete deutsche Filmförderung derzeit aus vielerlei Ecken und Richtungen attackiert und kritisiert (zuletzt u.a. FOCUS und Berliner Zeitung). Parallel dazu machen sich auf der anderen Seite Kultusminister und Interessenverbände der meisten EU-Länder dafür stark, dass kulturelle Erzeugnisse nicht unter das bevorstehende Freihandelsabkommens mit den USA fallen. Fast unisono werden ihre Argumente nun von Journalisten übernommen, was im Ergebnis zu der zwiespältigen Haltung führt, dass man wie DIE WELT einerseits gegen die deutsche Filmförderung wettert und andererseits weiterhin für den Erhalt der Filmförderung und für die Protektionierung der europäischen Filmindustrie eintritt:


    "Der Tag, an dem die 'exception culturelle' fiele, wäre ein Festtag für Google und Facebook, und in Hollywood, das bei uns sowieso zwei Drittel des Marktes beherrscht, würden die Korken knallen. Industriekenner schätzen, dass die deutsche Kinofilmproduktion um die Hälfte und die von Fernsehfilmen um ein Drittel fiele."


    "eine Filmförderung, [...] die schlicht und einfach auf der Lüge der Kulturförderung beruht, während sie doch eine rechtswidrige Wirtschaftsförderung darstellt: Eine solche dysfunktionale Filmförderung muss sich nicht wundern, wenn sie insgesamt infrage gestellt wird."

    Natürlich können zwei unterschiedliche Journalisten derselben Redaktion unterschiedliche Standpunkte vertreten und es geht ja stets auch darum einen Sachverhalt von verschiedenen Seiten zu betrachten. Doch dieser Zwiespalt ist ganz typisch für diesen Themenkomplex:
    Es besteht grundsätzlich große Angst vor der Dominanz der US-amerikanischen Medienindustrie, vor dem Einfluss der US-amerikanischen Kultur auf die europäische Lebensrealität, und damit auch vor einem drohenden Verlust nationaler Identität und kultureller Tradition.
    Gleichzeitig fühlt sich Subventionierung und Protektionismus nicht wirklich fair und gerecht an, Steuergelder verpuffen und versumpfen, und gerade im Fall Deutschland bleibt der große Effekt aus, die breite Masse des Volkes bleibt von den hehren Rettungsmaßnahmen reichlich unberührt. Eine Lösung aus diesem Teufelskreis kann niemand so wirklich anbieten.

    Doch steht es tatsächlich so schlecht um die europäische Standhaftigkeit? Dies gilt es meiner Meinung nach zu hinterfragen. Ist jene Kultur, die staatlich gefördert und subventioniert wird, aber kaum vom Volke rezipiert und konsumiert wird, wirklich so gesellschaftstragend und identitätsbildend, wie man es uns weismachen möchte?

    Nichts gegen Kulturförderung als solche. Ich möchte natürlich nicht, dass das Theater verschwindet, auch wenn ich kein Theatergänger bin, und ich bin selbstverständlich auch zum Beispiel dafür, die Oper zu erhalten, auch wenn ich nicht in die Oper gehe. Ein gewisses Grundmaß an „Artenschutz“ ist sicherlich notwendig. Aber eben, genau dadurch, durch die Legitimation des „Artenschutz“ bekommt es fast unweigerlich den Beigeschmack und Geruch von Museum, Archiv und Zoo. Und dann stellt sich letztlich irgendwann die drängende Frage: Sind solche Summen und Schutzmaßnahmen es uns wirklich wert? An deutsche Opern und Theater fließen jährlich rund zwei Milliarden EUR. Wo bleibt das Mitspracherecht? Wie viele Opernhäuser braucht Deutschland? Und wieviel deutschen Film-Output?

    Und ich wage auch mir die Frage zu stellen, wie gravierend der angeblich unweigerliche Niedergang der deutschen Filmindustrie durch eine Abschaffung der „exception culturelle“ denn wäre, sollte diese unwahrscheinlicherweise tatsächlich beschlossen werden. Welche Auswirkungen hätte das auf die Lebensrealität der Bevölkerung? Angesichts des relativ geringen Marktanteils des deutschen Films, welcher wiederum großteils von einer Handvoll erfolgreicher Komödien erzeugt wird, die es mit Sicherheit auch ohne Fördergelder geben würde: vermutlich wären die realen Auswirkungen ziemlich gering. Betroffen sind eher jene, die derzeit am lautesten rufen – jene Produzenten, TV-Angestellten und Filmschaffenden, die von den Subventionen direkt oder indirekt abhängig sind.


    Meyer: [...] Heißt das nicht eigentlich, Sie wollen sich nur unliebsame Konkurrenz vom Hals halten?

    Steinbrenner: [...] Falls es dieses Bestreben gäbe, wäre es gescheitert. Man sieht, dass die amerikanischen Inhalte aus gutem Grund trotzdem den deutschen Markt dominieren.

    Geht es den Klagenden also wirklich um den Schutz überlebensnotwendiger Kulturformen (bzw. ihrer Auffassung von schützenswerter Kultur) oder nicht eher doch schlicht und einfach nur um die Erhaltung ihrer eigenen Pfründe?

    Die „exception culturelle“ ist ein französisches Konzept und wird von Frankreich verteidigt, um die Quotierung französischer Kulturprodukte im Radio und in Film und Fernsehen weiter aufrecht erhalten zu können. Aus Sicht der Franzosen, die ein komplett durchdachtes und konsequent umgesetztes Kulturkonzept verfolgen (welches aber ironischerweise längst auch auf eigenen Beinen stehen könnte), macht es sicherlich Sinn am bewährten System festzuhalten.

    Das in DIE WELT gezeichnete Bedrohungsszenario am Beispiel Südkoreas ist insoweit auch korrekt: auf Druck der USA wurde mit dem Freihandelsabkommen zwischen Südkorea und den USA 2007 eine verminderte Filmquote eingeführt. Doch es kommt nicht zur Sprache, dass diese zuvor relativ hoch angesetzt war und sich nun lediglich auf dem Niveau Spaniens befindet. Ebenso wird nicht berücksichtigt, dass die Filmquote allenfalls moderat zum südkoreanischen Kino-Boom der 90er Jahre beigetragen hat – hierfür war vielmehr die Einführung der 5-Arbeitstage-Woche verantwortlich, welche den Koreanern einen zweiten Ruhetag und damit auch sehr viel mehr Freizeitkonsummöglichkeiten brachte, sowie der Erfolg von koreanischen Publikumsfilmen wie „Joint Security Area“, welche überwiegend privat finanziert wurden – vor allem durch die im Zuge des Booms stark angewachsenen Kinoketten selbst.
    Dass eine Quote selbst kein ausreichendes Zaubermittel ist, hat sich in der Vergangenheit in Großbritannien gezeigt, wo eine 20%-Quote in den 30er Jahren zu einer Fülle an minderwertigen Filmproduktionen führte, nur um die festgelegte Quote erfüllen zu können.
    (siehe: Screen quotas – Wikipedia)

    Eine solche Quoten-Regelung kennt Deutschland aber traditionell nicht, und dennoch hat man sich mit 11 weiteren EU-Ländern dem französischen Vorstoß angeschlossen. Für den deutschen Film liegt die Bedrohung eigentlich nur darin, dass amerikanische Produktionsfirmen bei der Filmförderung Gelder abgreifen könnten. Fördergelder würden von eher erfolglosen deutschen Filmen in die Hände der erfolgreicheren größeren und kleineren US-Studios wandern. Ja, das würde die Filmförderung als solche ad absurdum stellen, aber die großen Worte vom Schutz der Kultur und Identität – die wirken dem gegenüber dann doch ein wenig hoch gegriffen:


    "Kulturelle Identität sowie der Spielraum für eine Regierung, sie zu verteidigen, sind nicht verhandelbar. Erst recht nicht in einer Zeit, in der Kultur den letzten Freiraum bietet, in dem nicht jede menschliche Handlung und Regung mit einem Preisschild versehen werden muss. Dieser Sprengsatz muss vom Tisch."

    Fraglich, ob die kulturelle Identität tatsächlich derart in Gefahr ist, wenn Nationen wie Großbritannien und die Niederlande den französischen Vorstoß ablehnen.
    Besonders die Betonung audiovisueller Werke und die große Zahl an wortführenden Lobbyisten aus der Filmbranche mutet suspekt an. Was ist mit Literatur? Mit Musik?

    Natürlich gibt es auch für Literatur und Musik in Deutschland Fördergelder in spärlicher Form, vor allem für anspruchsvolle Hochkultur, aber seit jüngerer Zeit auch z.B. für Rock- und Pop-Musiker. Doch lebt der Büchermarkt oder die Musikindustrie von Subventionierung? Nein, entsprechend sind die zugehörigen Verbände auch ruhig in dieser ganzen Debatte. Und der Vergleich lohnt sich – so dominierend Musik aus dem angloamerikanischen Raum auch bis heute sein mag, hat sich deutschsprachige Musik im Laufe der Zeit von alleine wieder etablieren können. Weder die Fantastischen Vier noch Silbermond noch Die Ärzte haben Fördergelder benötigt. Der Geschmack der Bevölkerung hat sich von selbst erweitert und verändert. Ganz ohne Zutun selbsternannter Kulturwächter und -schützer.

    Auch Jens Steinbrenner vom Verband der Deutschen Film- und Fernsehproduzenten inszeniert seine Kollegen zu Bewahrern der Vielfalt. Ohne Filmförderung sei die aktuelle Vielfalt in deutschen Kinos nicht möglich.
    Damit lässt sich aber womöglich auch die Distanz der Fördergremien und Fernsehanstalten gegenüber Genrefilmen erklären – denn Genrefilme gehören zu den erfolgreichsten Filmen des US-amerikanischen Outputs, werden oftmals geradezu als typisch amerikanische Kulturform betrachtet (trotz ihrer klar universellen Prägung und Beschwerden aus den USA, dass sich große Blockbuster zunehmend international ausrichten und daher z.B. auch auf chinesische Zensurpolitik oder den japanischen Publikumsgeschmack Rücksicht nehmen).
    Der Mangel an deutschen Genrefilmen könnte also auch dadurch erklärt werden, dass es die Politik der Entscheider war und ist, für Vielfalt zu sorgen, indem man mehr oder weniger gezielt Filme produziert, die nicht aus den USA kommen können. Also Filme, die eher nicht im direkten Wettbewerb zu Hollywood stehen: Deutscher Arthouse. Deutsche Komödien. Deutsche Dokumentationen. Deutsche Kinderfilme.
    Es stellt sich jedoch die Frage, ob man sich durch eine solche Strategie nicht langfristig selbst auf das Abstellgleis manöviert. Welchen Wert hat diese schöne Vielfalt, wenn ein Gros der Zuschauer von dieser nichts mitbekommt, oder sie eventuell gar von Haus aus ablehnt?

    Zudem weckt die Haltung der Filmbranche natürlich auch Begehrlichkeiten in anderen Bereichen, so zum Beispiel beim Bundesverband der Computerspieleindustrie GAME, der in seiner Stellungnahme zur Debatte eine Gleichbehandlung fordert.

    Die Angst vor der mächtigeren US-amerikanischen Flut ist auch dort groß und wird nicht geringer commander viagra belgique. Doch lernt man Schwimmen, indem man Mauern auftürmt?
    Natürlich ist Schwimmen anstrengend und gefährlich. Schwimmen erfordert Mut. Und eine gute Ausbildung. Eine bessere Filmförderung würde das berücksichtigen und entsprechend Anreize dafür bieten. Stattdessen wurde aber ein sündhaft teures, gigantisches Nichtschwimmerbecken errichtet, in dem man sich plantschend und gemütlich Legenden von blutrünstigen amerikanischen weißen Haien der Spielbergschen Gattung erzählen kann.

    Aber was, wenn die Flut doch irgendwann kommt?

    Jens Steinbrenner ist paradoxerweise der Meinung, dass ohne Filmförderung nicht nur weniger Vielfalt, sondern auch kein Wettbewerb mehr bestehen würde:


    "Es gäbe keinen Wettbewerb, wenn es keine Filmförderung gäbe, weil es in Europa und in Deutschland ganz einfach wirtschaftlichen keinen Sinn mehr machen würde, Filme zu machen, die auf ein großes Publikum zielen."

    Weshalb aber soll es keinen wirtschaftlichen Sinn ergeben, Filme zu machen, die auf ein großes Publikum zielen? Ist das nicht die – allersimpelste – Strategie im Filmgeschäft?

    Aus Steinbrenners Argument spricht daher weniger Logik als vor allem eines: Fehlender Mut, fehlendes Selbstvertrauen, fehlende Vision. Resultierend aus fehlendem „echten“, selbst erwirtschafteten und selbst geleisteten Erfolg. Und wohl auch, dass man gar nicht mehr weiß, wie man mit einem Film echten Erfolg erzielen kann. Quasi seit der eigenen Geburt kennt man ja nichts anderes als die schützende und nährende Hand über sich.

    Und wenn sich diese Hand langsam zu entfernen droht, dann schreit man eben.