Was ist ein Genrefilm?
Im Laufe der Filmkunstgeschichte haben sich zahlreiche bekannte Genres herausgebildet, die bestimmten, leicht wiedererkennbaren Grundmustern und -szenarien folgen. Im Grunde ist so gut wie jeder Film irgendeinem Genre zuzuordnen, doch es gibt einen bestimmten Kreis an Filmgenres, die besonders einprägsam, erfolgreich und in gewisser Weise in sich wesensverwandt sind: Science Fiction, Fantasy, Horror, Action, Thriller, Dark Drama, Mystery … Filme, welche solchen Kerngenres zuzuordnen sind, werden als „Genrefilme“ bezeichnet, und diesen wollen wir uns widmen.
Der deutsche Genrefilm – ein Überblick
Den deutschen Genrefilm zeichnet aus, dass es ihn in der internationalen wie auch nationalen Wahrnehmung praktisch nicht gibt. Dies wollen wir zuallervorderst ändern. Denn die deutsche Filmindustrie wird heute überwiegend von Unterhaltungskomödien auf der einen und pädagogisch-künstlerischen Arthousefilmen auf der anderen Seite dominiert. Dies liegt zum einen am großen Einfluss des Fernsehens auf die deutsche Filmbranche und dem staatlichen Filmsubventionssystem, sowie zum anderen an einer generellen Abgrenzung und Abwertung der Phantastik im bildungsbürgerlichen Kulturbetrieb – in Deutschland kulturell und historisch bedingt besonders stark ausgeprägt.
Das war nicht immer so: In den goldenen zwanziger Jahren wurden im demokratischen Deutschland der Zwischenkriegszeit Pionierleistungen im Bereich des Genrefilms vollbracht. Zu diesen Meilensteinen gehörten: „Das Cabinet des Dr. Caligari“ (1920, Gruselfilm, Regie: Robert Wiene), „Metropolis“ (1927, Science-Fiction, Regie: Fritz Lang), „M“ (1931, Krimi-Thriller, Regie: Fritz Lang), „Nosferatu“ (1922, Gruselfilm, F.W. Murnau), „Frau im Mond“ (1929, Science-Fiction, Regie: Fritz Lang) und „Die Spinnen“ (1919, Abenteuerfilm, Regie: Fritz Lang).
Diese große Tradition der Weimarer Phantastik im Rahmen des deutschen Expressionismus fand im Dritten Reich jedoch ein jähes Ende, als viele Künstler und Intellektuelle vor dem Nationalsozialismus ins Ausland emigrierten und sich die faschistische Filmkultur mit einer starken politisch-missionarischen Gegenwartsbezogenheit etablierte, welche z.B. „subversive“, utopisch-phantastische Szenarien und expressionistisch-morbide Ausdrucksformen als „entartete Kunst“ nicht mehr zuließ.
Leider kam es dann auch im befreiten Nachkriegswestdeutschland nicht sofort wieder zu einem Wiederaufleben des Genrefilms. Im Rahmen der gesellschaftlichen Umwälzungen und Vergangenheitsbewältigungen der 60er Jahre entstand zunächst vielmehr zuallervorderst der unabhängige, künstlerisch-pädagogisch anspruchsvolle Autorenfilm, der in den heutigen hauptsächlich durch staatliche Filmförderung finanzierten Kunst- bzw. Arthousefilm resultierte. Wiederbelebungsversuche einiger Filmgenres in jener Zeit, wie z.B. in Form der beliebten Edgar-Wallace-Filme (1959-1972), der Karl-May-Verfilmungen oder der Science-Fiction-Serie „Raumpatrouille“ (1965) fielen den damaligen auch auf kultureller Ebene ausgefochtenen politischen Konflikte zum Opfer, indem sie unter Verkennung der geschichtlichen Vorzeichen oftmals von Kritikern, Intellektuellen und Journalisten als künstlerisch wertlos, latent faschistoid und propagandistisch im Stil bezeichnet wurden.
Der Genrefilm war zu diesem Zeitpunkt, nach Impulsen aus Großbritannien, vor allem in den USA zuhause, zeitweilig auch in Italien, später errangen Frankreich, Japan, Südkorea und Spanien große Bedeutung. Von überall dort kehrte er im Laufe der vergangenen Jahrzehnte wieder zurück nach Deutschland – und mit ihm auch die phantastische Literatur sowie insbesondere Comics, welche im Dritten Reich noch als „undeutsch“ und „verdummend“ verunglimpft wurden und bis in die 50er Jahre hinein von besorgten deutschen Müttern öffentlich verbrannt wurden.
Ein Neuer Deutscher Genrefilm?
Wie deutsch kann der Neue Deutsche Genrefilm angesichts dieser großen historischen Brüche und Umwälzungen also nun sein? Die neuen alten Pioniere, die neuen alten Idole und Visionäre, heißen nun eher Spielberg, Scott, Cameron, Jackson und Lucas, nicht mehr Lang, Wiene und Murnau. Aufgrund der großen zeitlichen und kulturellen Ferne können heutige deutschsprachige Filmschaffende kaum an jene alte Tradition der Weimarer Tage anknüpfen. Wir sind vielmehr daran angehalten, die heutigen modernen Einflüsse aufzunehmen, die vor allem aus dem Ausland kommen, wo die universell-internationale Genrefilmtradition in den vergangenen Jahrzehnten beständig weiterentwickelt und vorangebracht wurde. Neue eigene Wege und Formen zu finden, einen neuen eigenen – deutschen? – Stil zu etablieren, können wir weder beschließen noch erzwingen. Zunächst gilt es (deutsche) Widerstände und (deutsche) Vorurteile abzubauen. Bisher in Deutschland Versäumtes aufzuholen und dazuzulernen. Sich Freiräume auch für Experimente und mehr Mut zum Risiko zu erringen. Die Zeit wird zeigen, welche Relevanz und Bedeutung der Neue Deutsche Genrefilm erreichen wird. Es bleibt uns jedoch für den Moment, auf die Existenz, die Akzeptanz und die Erfolge jener Weimarer Pionierzeit hinzuweisen, auf dass vielleicht eines Tages hier wieder ähnliche, vergleichbare goldene Jahre möglich sind.
Eine detailliertere Abhandlung der Entwicklung des deutschen Genrefilms von der Kaiserzeit bis in die Gegenwart, findet sich in der vierteiligen Artikelreihe von Huan Vu:
> „Die Gedanken sind frei – Teil I“