1. Deutschland, deine Helden! – Teil 1: Die Katastrophe

    15.10.2013 /// / /

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    Das RTL-Katastrophen-Melodram Helden – Wenn dein Land dich braucht hat sowohl im Vorfeld als auch nach der Ausstrahlung größtenteils vernichtende Kritiken in der Presse und von Zuschauern bekommen. Dabei haben sowohl Produzent als auch Regisseur leidenschaftlich erklärt, dass sie mit viel Herzblut einen Film machen wollten, der nicht nur unterhält, sondern der genrearmen deutschen Filmlandschaft auch wieder einen großen Genrefilm schenkt. Das wäre in der Tat wichtig. Auch wir vom Neuen Deutschen Genrefilm haben uns deshalb die Frage gestellt, was da eigentlich schiefgelaufen ist. Eine Analyse in zwei Teilen.

    Warum wir TV-Katastrophen nicht ignorieren dürfen

    Helden – Wenn dein Land dich braucht (RTL 2013, hier der Trailer) ist ein wichtiger Film. Weil er viel über den Zustand des deutschen Fernsehens, der deutschen Erzählweise, des deutschen Genrefilms und letztendlich das noch immer nicht verarbeitete Trauma der deutschen Seele erzählt. Weil der Film sein eigentliches Thema nicht erkennt, geschweige denn versteht (Regisseur Hansjörg Thurn lagen auch eher “leichte Unterhaltung” und “Entertainment” am Herzen) und der Plot so hanebüchen und geradezu lieblos ist, ist nicht mehr als das Skelett eines Katastrophenfilm-Melodrams (oder “Science-Fiction-Heimatfilms” laut Produzent Stefan Raiser) herausgekommen.

    Dieser Umstand aber macht um so mehr den Blick frei auf wichtige Muster und Strukturen, die anderswo von zu viel guter Story und zu viel emotionaler Kraft verdeckt wären. Dadurch ist der Film eine reichhaltige, ergiebige Fallstudie, was hierzulande offenbar als “guter Standard” akzeptiert und tradiert wird. Der deutsche Genrefilm kann viel lernen, wenn er genau solche Filme eben gerade nicht ignoriert.

    Vom Mangel bedeutungsvollen Geschichtenerzählens

    Helden ist ein Destillat, wie im deutschen Fernsehen Geschichten erzählt werden: “Telling” statt “Showing”, als würde die Welt untergehen. Es geht offenbar auch gar nicht darum, gute oder sogar bedeutungsvolle Geschichten zu erzählen. Vielmehr scheint das wichtigste und höchste Ziel zu sein, Reflexe beim Publikum zu bedienen. Deshalb wird beispielsweise regelmäßig ein desorientiertes “random child” demonstrativ aus einem Schutthaufen gehoben, weil man glaubt, das würde für Drama und Heldentum stehen (ohne aufopferungsvolle, heldenhafte Taten bleiben es aber nur leere Bilder). Deshalb gibt es den “hedonistischen Proll-Bruder mit dem geilen schnellen Auto”, dessen schwere Verwundung den Bruderzwist heilen soll … würde der Verletzte nicht noch stundenlang rumlaufen und reden, während wir nicht verstehen, warum ihn der andere Bruder nicht mit dem schnellen Auto sofort ins Krankenhaus fährt. So können wir auch kein Mitleid empfinden, wenn der Bruder Stunden später, alleingelassen auf dem Spreewaldgurken-Hof, verstirbt.

    Wenn es aber immer nur um Reflexe geht, sind all das nur Pseudo-Emotionen. Diese erzeugen leider überhaupt nicht das, was sich ein aufs Mainstream-Publikum zielender Sender eigentlich am meisten wünscht: sein Publikum hochgradig und echt zu emotionalisieren und mitzureißen. Wird stattdessen nur auf unmittelbare Reflexe gesetzt, dann müssen Teenager trotzig, maulig und genervt sein (das ist das, was man im deutschen TV offenbar unter “rebellig” versteht), Held und Heldin eine “emotionale History” haben (die leider immer dann besprochen werden muss, wenn die Zeit gerade besonders drängt – was sie bei dem Szenario ja immer tut) und die Figuren dem Kreis der Durchschnittszuschauer entlehnt sein (dass die meisten von ihnen Knallchargen sind, könnte ein interessantes Licht darauf werden, wie Fernsehsender ihre Zuschauer sehen).

    Die Plotlöcher, die sich vor Lachen biegende Logik und das vollständige Inventar schlechten filmischen Erzählens sind für all das letztendlich nur willige Helfer. “Was ist das?” wird angesichts des aufbrechenden Kontinents im Film gefragt. “Eine Verwerfung.” lautet die Antwort. Richtig: So, wie Deutschland Schritt für Schritt zerfällt, zerfällt auch “Helden” von Minute zu Minute mehr in einen großen Katastrophenfilm-Schutthaufen.

    Helden ohne Heldentum

    Betreten deutsche Filmemacher das Terrain einer Heldengeschichte, beginnt der Boden unter ihren Füßen zu wanken. Am erstaunlichsten ist, dass Helden nichts über Heldentum zu erzählen weiß. Stattdessen unternimmt der Film alles, um Heldentum möglichst nicht zu erzählen. Das zeigt, wie kaputt eigentlich unsere Denke sein muss, wenn wir nicht einmal mehr die Mechanismen von Heldentum verstehen und erzählen können, wenn wir es uns fest vornehmen und unserem Film sogar explizit danach benennen.

    Helden hätte wirklich ein im echten Sinn relevanter Film sein können, weil er sich trauen wollte, von der Heilung unserer nationalen Seele zu erzählen. Da wäre Fernsehgeschichte dringewesen (und nicht, wie der Regisseur sagt, wegen des heftigen Shitstorms der Kritikerzunft). Aber ohne echte Helden, ohne echtes Heldentum bleiben nur kitschige, sinnentleerte Behauptungen, die zeigen, dass der Film nicht durchdringt, welche Themenfelder er in Wahrheit bespielt oder wie diese erschlossen werden könnten.

    Dass der Film stattdessen – angeblich – sein Thema in den “Gefahren der Wissenschaft” findet, ist eine weitere von vielen Behauptungen. Da hilft es auch nicht, dass die Moral der Geschichte bereits im Prolog per Sprecher darlegt wird (das ist eigentlich seit Stummfilmzeiten nicht mehr so “in”), der Film diesen “Forschungsscheiß” dem Zuschauer erklärt, als wäre er fünf (im Film wird es natürlich fünfjährigen Kindergartenkindern erklärt) und am Ende der “Gott spielende” Leiter des Genfer Colliders zur Strafe selbst ins Loch gesaugt wird (und sich damit zu den anderen Figuren gesellt, die nicht etwa wegen der katastrophalen Ereignisse, sondern schlicht aus eigener Dummheit sterben).

    Von einer wirklichen thematischen Beschäftigung mit der Hybris des Menschen, selbst Schöpfer zu sein und so nicht nur “Gott” zu begegnen, sondern etwas über seine eigene Identität zu erfahren, kann leider keine Rede sein. Aller klar vorhandenen Aufhänger der Story zum Trotz. Geschweige denn, dass eine Verbindung gezogen wird zwischen der wissenschaftlich-schöpferischen Suche nach eigenem Ursprung und eigener Identität und dem Selbstkonstitutionsprozess, den wiederum Heldentum erzählt.

    Das erschütterte Kind

    “Heldentum” ist ja nur eine Metapher für die eigene Selbstwerdung, die in den Eltern-Kind-Beziehungen im Film bereits zentral angelegt ist – wenn auch vermutlich aus anderen Gründen als tieferen thematischen Überlegungen. Wenn man aber nur auf “leichte Unterhaltung” zielt und diese Verbindung nicht zieht, dann wird daraus nicht nur nichts Bedeutungsvolles und emotional Echtes, sondern es entstehen im Gegenteil total kaputte “Eltern-Kind”-Beziehungen, in denen maulige Töchter und zickige Söhne belogen, gefesselt, geknebelt, angeschrien, weggezerrt und geschlagen werden und sie erst ein ordentlicher Schlag gegen den Kopf zur Besinnung kommen lässt. Und so, wie sie auch per Sprache kleingehalten und als “Honk”, “Flegel” und “feiges kleines Kind” beschimpft werden, so darf auch ihr Übersichhinauswachsen nur kontrolliert durch Sprache als Weisung “von oben” erfolgen (“Sie schaffen das.”, “Du kannst viel mehr, als du denkst.”, “Du kannst es, Rosie.”) statt als eigener Impuls von innen.

    Letztendlich ist Helden selbst ein trotziges Kind, das gehört werden will und instinktiv weiß, dass es erst alles kaputt und falsch machen muss, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Der Schrei war sehr laut. Es ist zu hoffen, er findet Gehör.

    Im zweiten Teil Heldenbefreite Zone blicken wir tiefer in die Mechanismen und Strukturen, die dazu führen, dass in “Helden” leider nichts über Heldentum erzählt wird und was das alles mit schlechter Dramaturgie und mit unserer Vergangenheit zu tun hat.