1. Deutschland, deine Helden! – Teil 2: Heldenbefreite Zone

    16.10.2013 /// / /

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    Im ersten Teil Die Katastrophe haben wir festgestellt, dass RTLs TV-Event Helden trotz seines Titels von wahrem Heldentum erstaunlich wenig erzählt. Im zweiten Teil wollen wir der Frage nachgehen, wieso das eigentlich so ist. Heldenhafte Protagonisten zu erzählen kann doch eigentlich nicht so schwer sein. Ja – wenn man den narrativen Kern von Heldentum und das Trauma der deutschen Seele versteht.

    Was ist Heldentum im Storytelling?

    Kein Filmgenre bietet Alltagsfiguren mehr Chancen auf Heldentum als der Katastrophenfilm. Die zerstörerische, chaotische Macht der Natur kann das Beste im Menschen wecken und ihn über sich hinauswachsen lassen. Das wollte auch Helden – Wenn dein Land dich braucht erzählen. Wenn die Figuren aber nichts Persönliches opfern, dann bleiben sie nur Pseudo-Helden.

    Heldwerdung ist metaphorische Initiation, die Vernichtung des alten Ichs durch extremes physisches und seelisches Leid – illustriert durch große persönliche Opfer – und Transformation in ein neues “heldisches” Selbst. Peter Parker opfert in Sam Raimis Spider-Man (2002) für sein Verwandlung zum heldischen Spinnenmenschen seine große Liebe. Ken Duken opfert in Martin Schreiers kommendem Social-Fiction-Actioner Robin Hood (PRO7 2013, hier der Trailer) für seine Transformation zum Kämpfer für Gerechtigkeit Ansehen, Beziehung und persönliche Freiheit (und leistet es sich noch, über das Für und Wider von Heldsein zu reflektieren). In Helden opfert niemand etwas – außer Armin Rhode seine Grillwürstchen und Yvonne Catterfeld ihr Leben. Letzteres leider aus eigener Dummheit, weil sie sich nicht – wie später Emilia Schüle und Christiane Paul – im Chaossturm anschnallt, deshalb verpufft die emotionale Wirkung dieser sonst noch am ehesten heldenhaften Figur des Films.

    Stattdessen entsteigt der ebenfalls unangeschnallte Hannes Jaenicke nach einem Totalcrash dem ausgebrannten Hubschrauber mit ein bisschen Zwacken im Rücken. Die Toten sind namenlos, wieder nur Reflex-Bedienung und damit Pseudo-Leid und Pseudo-Opfer. Gleichzeitig sehen wir kaum weitere Tote im Film, da war vermutlich als Familienfilm zur Primetime nicht mehr drin, aber es verharmlost die Gefahr und das Drama, die der Film so immer wieder behauptet. Ohne konkrete Gefahr kein Heldentum.

    Opfertod als Konstitution des eigenen Ichs

    Die Entscheidung zum persönlichen Opfer, zur heldenhaften Handlung, muss aus der Figur kommen. Das wäre der Fall gewesen, wenn zum Beispiel Heikko Deutschmann als Leiter des Colliders ohne vorhandenen Schutzanzug in das von (kurz erwähnter, dann aber schnell wieder vergessener) Gammastrahlung verseuchte Kontrollzentrum gegangen wäre, um seine eigene entfesselte Schöpfung wieder zum Stillstand zu bringen. Ein klassisches Dilemma und das größtmögliche Opfer: das eigene Leben. In Geschichten ist ja auch der Tod nur eine Metapher, die nicht zwangsläufig nur Tragik und Unglück bedeutet, sondern genauso Selbsterfüllung: Mit dem Sturz in den Collider, in den “Urknall”, vereinigt sich der Wissenschaftler mit seiner eigenen Schöpfung und mit Gott – nur nicht dann, wenn er im Wahn Christiane Paul anspringt und bedeutungslos in den Chaosstrudel fällt.

    Noch heldenhafter wäre es sicher gewesen, wenn Christiane Paul selbst in die Strahlung gegangen wäre und für die Rettung des Landes ihr Leben gegeben hätte. Vermutlich hat das die Selbstzensur der Filmemacher verhindert. Dabei ist in unserer abendländischen Subjektauffassung der Heldentod die ultimative (männliche) Subjektkonstitution. Nirgends sonst ist man mehr Herr seiner selbst als bei der freiwilligen Entscheidung zum Heldentod. Eine Frau in dieser Rolle (man denke an Lord of the Rings und Eowyns Drang nach Heldentod, um ihre gesellschaftlichen Ketten zu sprengen) hätte hier gerade für einen TV-Sender mit Drang nach emotional starken Frauengeschichten echtere Resonanz erzeugen können.

    In Helden ist dagegen niemand Herr seiner selbst. Das darf offenbar im deutschen Film auch gar nicht sein. Hätte man einen wirklichen Helden, hätte man vielleicht am Ende einen Märtyrer, dem ein Denkmal errichtet wird. Eine Ikone, deren Vorbild das Land heilt – also eint. Denn der Held bringt traditionell durch seinen Tod und seine tatsächliche oder spirituelle Auferstehung Heilung für sein Land. In Helden ist diese erhoffte Heilung in Form einer nationalen Einheit (und damit einer “geheilten Identität”) zentral angelegt: in dem starkem Bild der Trennung Nord- und Süddeutschlands durch die Plattenverschiebung ebenso wie in der finalen pathosbeladenen Ansprache des Bundeskanzlers (ganz zu schweigen von der Ausstrahlung am 3. Oktober).

    Die deutsche Seele verbietet uns aber offenbar eine Heilung durch Helden: Das Land soll sich gern vom Trauma des Dritten Reichs befreien, aber nicht durch Individuum, Ideal und Vision, sondern durch Autorität, Rationalität und Struktur. Davon geben im Fernsehen unzählige Dokumentationen Knoppscher Provenienz ebenso beredt Auskunft wie akribisch recherchierte und minutiös nachspielende Filme im Stil von Der Untergang (2004).

    Helden gibt – unabsichtlich, aber doch inhärent – viel preis über den Seelenzustand Deutschlands: Personenkult darf das Land nicht einen, und deshalb auch nicht wahres Heldentum. So ist auch der Bundeskanzler, der oberste Medizinmann des Landes, im Film das genaue Gegenteil einer Ikone: Hände in den Hosentaschen, passiv, bloß keine Emotionen. Selbst in der unfassbarsten Szene des ganzen Films lässt er sich nicht mehr als ein erstauntes Zucken entlocken, als vor seinen Augen ein vollbesetztes Passierflugzeug vom Himmel auf die Straße des 17. Juni kracht. Emotionen? Offenbar verboten. Es reicht für nicht mehr mitreißende Energie als ein “Ich wünsche Ihnen viel Glück. Sie schaffen das.” für die potentielle Heldin des Films.

    Helden - Wenn dein Land dich braucht

    Kampf gegen die Unfähigen

    Wenn die Protagonisten nicht groß sein dürfen oder können (auch, weil die Ideen dazu fehlen – die traumatisierte deutsche Seele rechtfertigt keine schlechte Dramaturgie), wird oft versucht, alle anderen, insbesondere die Profis, eben besonders kleinzumachen. Dieser narrative Entwertungstrend zieht sich durch den ganzen Film: Wo immer es qualifizierte Spezialisten gäbe, die den Auswirkungen der Katastrophe professionell begegnen könnten, mutieren diese zu Idioten oder Versagern – oder kommen erst gar nicht vor:

    So gibt es keinerlei Notfallprotokoll für Kanzler Heiner Lauterbach, nachdem mal eben der Reichstag explodiert ist. Statt ein Team von Spezialisten mit ausreichend militärischer Unterstützung schickt der Kanzler sage und schreibe eine (!), ihm völlig unbekannte Wissenschaftlerin los – mit einem “Persilschein”, der sich als vollkommen wertlos herausstellen wird. Die Schweizer Armee wiederum trifft zwar rechtzeitig an der Unglücksstelle ein, zieht sich aber aus völlig seltsamen Gründen lieber wieder zurück, anstatt die Eingeschlossenen schnell zu retten (sie müssten nur wie die “Helden” im Finale mit einem Seil hinunterklettern). Die Schalke-Kumpel um Armin Rhode müssen natürlich selbst die Krankenhaus-Evakuierung in die Zeche organisieren, weil es offenbar keine zuständigen Behörden dafür gibt. Und erst, als der Oberarzt mit “zitternden Händen” versagt, darf sich Oberschwester Christine Neubauer als Heldin beweisen – als gäbe es nicht auch so bereits genug Heldenhaftes zu tun, wenn Deutschland untergeht.

    Der Leiter des Colliders wiederum muss schwere Herzprobleme bekommen und auch noch komplett durchdrehen, damit er auf keinen Fall irgend eine Hilfe ist (im Gegenteil, er macht – ebenso wie Sicherheitsrat, Armee usw. – alles nur noch schlimmer). Notärzte, Feuerwehr und Rettungshelfer sind in keinem einzigen Fall personalisiert. Wir sehen stattdessen den Vorarbeiter Medikamente aus Kisten holen und Hannes Jaenicke Kinder aus Trümmern heben. Das SEK rennt mit gezogenen Knarren durch die Trümmer, guckt aber genau dann weg, wenn ein Zivilist mal eben im Armeehubschrauber mitfliegen will. Nichtmal der Fernsehtechniker im Ü-Wagen checkt irgendwas und lässt Hannes Jaenicke lieber selbst chaotisch an Knöpfen rumfummeln, damit der Ton lauter wird.

    Helden sind stark, weil sie Übermenschliches leisten. Schwächt man die Starken in ihrem Umfeld (im Katastrophenfilm also insbesondere die Spezialisten und Autoritäten), werden aus den Helden-Aspiranten wieder nur Pseudo-Helden. Richtig ist, dass schwache und Helden ständig behindernde Autoritäten ein Klischee im Kampf gegen das Chaos sind. Wenn man also eine (!) Figur davon drinhaben will, empfiehlt es sich, ihr wenigstens eine gute Motivation zu geben (z.B. Angst vor Prestigeverlust beim Bürgermeister in Steven Spielbergs Der weiße Hai (Jaws, 1975)). Aber ansonsten müssen die Herausforderungen aus der Katastrophe selbst kommen und nicht durch inkompetente Uniformsträger (oder alternativ zickige Teenager).

    Wozu erzählt man sonst ein kontinenterschütterndes Desaster, wenn die Aufgaben für die Helden vor allem darin bestehen, jemanden aus dem Tropical Island abzuholen und gegen blockierende Autoritätspersonen und unfähige Spezialisten zu kämpfen? Wo bleibt der Impact der eigentlichen Katastrophe, auf die man extra so viel Erzähl- und Erklärzeit verwendet?

    Professionelle Spezialisten agieren nicht gegen Heldenfiguren, sondern unterstützen sie – wie der fitte und mutige Meeresbiologe und der raubeinige und erfahrene Haifänger-Kapitän im Weißen Hai. Angst, dass diese die eigentlichen Helden in den Schatten stellen, entsteht nur, wenn einem dramaturgische Grundregeln entgleiten. Denn das persönliche Opfer, die übermenschliche Entscheidung, die große Heldentat wird am Ende immer beim Helden liegen – gerade wenn er menschlicher und normaler ist als alle anderen um ihn herum.

    Kleinmachen und Kompetenzabspruch – Sargnagel für Heldentum

    Hat man erstmal Pseudo-Helden erschaffen und keine Idee, worin deren eigentliche heldische Leistung liegt, kommt es zu einer weiteren Figurenentwertung mit der Sogkraft eines im Teilchenbeschleuniger erzeugten Schwarzen Lochs: Um den Protagonisten wenigstens irgend eine Entwicklung und Pseudo-Heldwerdung zu geben, müssen sie zu Beginn so klein und schwach wie nur möglich gemacht werden. Das zeigt sich darin, dass alle wie Kinder oder Menschen zweiter Klasse behandelt werden:

    Gleich zu Beginn, als wäre es ein direkter filmischer Hinweis auf das kommende Muster, fordert Emilia Schüle das kleine Mädchen gereizt auf, aufzuhören “zu träumen”. Dann wird ihr selbst gleich von Yvonne Catterfeld gesagt, dass sie alles falsch mache. Der Chef von Christiane Paul nimmt natürlich für sich in Anspruch, vor dem Bundeskanzler “zu reden” (und nicht etwa sie, die die Zusammenhänge aufdeckt und versteht), während der fiese Vorgesetzte von Hannes Jaenicke diesem natürlich auch gleich vor den Latz knallt, er brauche “morgen erst gar nicht wiederkommen”. Dieser wiederum beschimpft dann in einem Fort den jungen Hacker. Im Altenheim passen die Pflegerinnen tunlichst auf, dass auch ja niemand mal ein Schlückchen Alkohol zu sich nimmt (offenbar sind auch die Alten keine mündigen Erwachsenen mehr), während der Kumpel von Armin Rhode diesem erklärt, dass er viel zu viele Würstchen für seine liebevoll organisierte Fanclub-Feier gekauft habe.

    Diese “Entwertungsspirale” – von Pseudo-Helden über inkompetente Spezialisten zu noch kleineren Pseudo-Helden – führt immer weiter nach innen in das Schwarzen Loch der Figurenstärkung, in dessen Zentrum dann jede Art von Heldentum auf einen Nullpunkt in Raum und Zeit reduziert ist.

    Keine Helden, kein modernes Fernsehen

    Helden – Wenn dein Land dich braucht führt all diese Muster handbuchmäßig vor, denn es ist eine generelle Struktur, wie in Deutschland Filmhelden aufgebaut und inszeniert werden – egal, ob in großen Event-Movies des Privatfernsehens oder dem wöchentlichen TV-Film bei den Öffentlich-Rechtlichen.

    Damit geht ein anderes Problem einher: Wenn wir das normale Heldentum nicht erzählen können, dann werden wir gebrochene Helden, Antihelden, Villain-Protagonists usw., wie sie seit Jahren als Kern des internationalen Qualitätsfernsehens zelebriert werden, erst recht nicht eindrücklich und glaubhaft erschaffen können.

    Offensichtlich befinden wir uns gerade noch im “relativ ruhigen Auge des Orkans”, wie es dramatisch im Film heißt. Die eigentlichen “Verwerfungen” haben die deutsche TV-Landschaft noch gar nicht erreicht. Hoffen wir, dass uns dann echte Helden vor dieser Katastrophe schützen.